Mein Mitbewohner machte mich wahnsinnig

Früher im Studium saß mein Mitbewohner Tim manchmal auf dem Sofa und blickte ins Nichts. Ich fand das immer befremdlich und stürzte mich lieber in Produktivität. Ich war stolz auf Tage, an denen ich vom Studium nach Hause eilte, dort in Windeseile ins Sportzeug wechselte, anschließend direkt die Nudeln ins Wasser warf, während ich duschte und das Gemüse kleinhäckselte, um die Schnippelarbeit zu sparen. Wenn Tim dabei einfach nichts tat, machte mich das wahnsinnig.
Erst Jahre später verstand ich den großen Vorteil seiner ruhigen Denkpausen, ohne ständigen Input von außen.

Das Nichtstun verhalf ihm zu einer inneren Ruhe. Er ging und geht stringent seinen Weg, indem er sich immer genau überlegt, ob das, was er tut, eigentlich mit seinen kurz- und langfristigen Zielen übereinstimmt. Statt sich abzulenken oder einfach drauflos zu arbeiten hat er so einen Plan, den er fokussiert verfolgen kann.

Ich hingegen war von außen betrachtet der Maßstab an Produktivität. Jede Sekunde war mit etwas gefüllt. Leider kam ich damit nicht sonderlich gut voran. In Wirklichkeit verrannte ich mich in Sackgassen oder lenkte mich schlicht und einfach nur ab.

Innenhalten, Abschalten, Gedanken laufen lassen

Vielleicht kennst du es von dir selbst: Statt eine Minute innezuhalten, zückst du, auch wenn du nur eine Minute im Aufzug warten musst, dein Smartphone. Statt zu überlegen, was du schreiben möchtest, legst du lieber schnell los, um nicht „faul“ vor dem PC zu sitzen. Und statt dich auf dem Spielplatz zu langweilen, während du dein Kind schaukelst, checkst du deine Mails.

In der modernen Leistungsgesellschaft ist derjenige, der im Leben und am Arbeitsplatz am meisten telefoniert, herumläuft oder betriebsam tippt, schnell auch derjenige, der als Leistungsträger wahrgenommen wird. Personen, die hingegen ruhig sitzen und überlegen werden schnell als Träumer verlacht. Dabei sind sie es oft, die die ziellose Betriebsamkeit hinterfragen. Von ihnen kommen Fragen wie: Sind wir überhaupt noch dabei unser langfristiges Ziel zu verfolgen? Oder verlieren wir uns in Details?

Sie können diese Fragen stellen, die die meisten von uns nur dann beantworten, wenn der Geist durch Zufall einmal ruhig geworden ist. Etwa, wenn wir im Urlaub sind und durch ein Funkloch wandern. Oder wenn wir uns einmal die Zeit nehmen, die Natur zu bewundern. Das sind die Momente, an denen unser Geist wirklich ruhig wird.

Bei mir war es ähnlich; erst im Urlaub fragte ich mich, wieso mein Mitbewohner (der mit den Denkpausen) eigentlich so schnell Professor geworden war. Plötzlich wurde mir klar, dass seine Denkpausen keine Pausen waren, in denen er nicht dachte, sondern in denen im Gegenteil entweder intensiv nachdachte, oder im Geiste kreativ wurde. Es waren also eher Pausen von seinem Alltag. Hektikpausen.

Bewusste Pause nutzen

Um ihm nachzueifern, versuchte ich ebenfalls bewusste Pausen in meinen Alltag einzubauen. Geführt von einem Produktivitätsratgeber stellte ich mir tiefe Fragen, erstellte Zeitpläne und versuchte fokussiert Ziele zu verfolgen. Doch meine Planung scheiterte zunächst. Meine schönen Zeitpläne ließen sich nicht einhalten und immer wieder mogelten sich in dem Moment wichtig erscheinende Aufgaben und Gespräche zwischen meine Pläne. Ich merkte, dass die Pausen, so wie ich sie mir nahm, nicht wirkten. Ein entscheidender Puzzleteil schien zu fehlen. Schließlich half mir ein tiefes Gespräch mit Tim weiter. Ihm war nicht bewusst, dass er etwas anders machte als die meisten anderen, aber nachdem wir unsere Tagesablaufe verglichen, merkten wir, dass mein unruhiger Geist vor allem durch die ständige Präsenz in der medialen Welt gefüttert wurde. Ich begann radikal alle unnötigen medialen Reize zu meiden, um mich wieder auf mich zu besinnen und wirklich gute Pläne zu erstellen und verfolgen zu können.

Eine leere Parkbank in der Sonne
Zwischendurch einfach mal eine Pause machen.

Doch das Durchhalten war schwieriger als gedacht. Es war mir unangenehm, unproduktiv zu wirken, wenn ich nicht sofort anfing zu tippen oder die Einzige zu sein, die in einem vollen Fahrstuhl nicht das Smartphone zückte. Ständig hatte ich Sorgen etwas zu verpassen. Dennoch zwang ich mich weiterzumachen. Ich erlaubte mir nur noch zweimal am Tag meine Mails zu checken und beantwortete sie dann direkt. Ich las Nachrichten wieder als Print statt online, um nicht in einen Strudel aus aufmerksam heischenden Schlagzeilen zu versinken und nahm zu Verabredungen kein Handy mehr mit.

Erst an diesem Punkt wurde mein Geist ruhiger und ich begann Aufgaben, für die ich vorher Stunden gebraucht hatte innerhalb der halben Zeit abzuarbeiten.

Fazit

Ein ruhiger Geist birgt enorme Produktivitätsvorteile. Er hilft uns zu fokussieren, zu planen, kreativ zu sein, neue Lösungen zu finden und macht langfristig zufrieden. Wenn du mehr zu den neuronalen Hintergründen wissen möchtest, klicke hier für meine Erklärungen. Wenn du es selbst erleben willst, fang einfach an. Gehe in die Natur und vergiss dein Smartphone und deine Sorgen einen Moment zuhause, und setze dich dort ein paar Minuten auf eine Bank. Vielleicht kommen dir dabei Ideen, mit denen du nie gerechnet hättest.